Texte

HANS BRINKMANN: Auschnitt aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung "Picknick am Wegesrand"

Freital / Einnehmerhaus, 14. April 2012

 

Meine Damen und Herren,

 

wir alle haben wohl schon einmal Kindern versucht zu erklären, dass "bunt" keine Farbe sei, und zunächst haben wir dabei ungläubiges Staunen geerntet. Zu deutlich steht gerade Kindern vor Augen, dass die Welt voller Dinge ist, die einfach bunt sind. Und die Welt selber erst! Natürlich ist uns die Erklärung gelungen. Mehr oder weniger gut. Ich möchte sie hier nicht wiederholen, aber sie hat schon bei uns funktioniert und sie funktioniert bei der nachfolgenden Generation genauso. Für sie spricht auch einiges.

 

Das Staunen mag uns trotzdem etwas wert sein. Zwar haben wir es ausgeräumt, erinnern werden wir uns aber wohl noch! Das Staunen verhält sich zum heutigen Wissen, wie sich Magie zur Wissenschaft verhält. Und wem das Wort Magie zu märchen- oder fantasyhaft vorkommt, der kann es ja auch durch Poesie ersetzen.

 

Poesie ist keine Farbe. Gewiss. Poesie ist etwas, das möglicherweise zwischen den Farben entsteht, aber nicht immer und nicht nur zwischen Farben. Auch zwischen Wörtern - beispielsweise. Zwischen Stoffen, was immer man unter Stoffen verstehen mag, zwischen ganz unterschiedlichen Bestandteilen - wie zwischen den Menschen auch, zwischen Menschen und einem Anblick, einer Landschaft beispielsweise, oder beim Hören von Musik. Es ist ein Zauber, der sich nicht auflöst, wenn man den Trick erklärt. Sonst könnte es ja jeder. Es kann aber nicht jeder und jede. Es empfindet auch nicht jeder und jede gleich. [...] 

 

Die Collage schafft aus vor produzierten Realien eine neue Realität. Aus alten Welten eine neue Welt, das klingt unbescheiden - sagen wir, die Collagen von Anke Kutzschbauch werfen einen neuen Blick aus dem Weltwinkel ins Weitere / Heitere. Aus dem Haushalt in den zerschnipselten Makrokosmos. [...] Die Ziernaht und auch die Steppnaht - ich möchte sie "entspannte Nähte" nennen, die wenig oder keine Belastung aushalten müssen - liegen an der Grenze zur Stickerei, sie schmücken, aber sie können auch eine praktische Funktion haben; hat das Ästhetische keine praktische Funktion? Es macht aufmerksam, immerhin. Es hält zusammmen. [...]

 

Nicht allein in den Textilcollagen, auch in einigen Papierarbeiten - teils durch Acrylmalerei ergänzt - wird gestickt und genäht. Hier scheint mir ein Gestus des Überdeckens - beispielsweise von Formulardrucken und Werbezetteln - wichtig zu sein. Und mehr noch: das Durchstechen und Umschlingen als Form der Bewältigung: nicht bürokratisches Klammern und Abheften, sondern Anheften und Übernähen als Verwandlung des Unumgänglichen ins Handhabbare. [...] 

 

Inhaltlich arbeitet Anke Kutzschbauch mit Stimmungen, die gelegentlich ins Komisch-Phantastische geweitet sind. (Beispiele: "Ungeduld" oder auch "Der Duft der Blumen".) Wenn wir die Stoffe in ihren Textilcollagen wahrnehmen, denken wir zuerst nicht an Körper darunter, nicht an Kleidung & Mode, nicht an Gardinen oder Kissenbezüge etc., wir denken an Schere, Nadel und Faden. An aufgesetzte Flicken wie an Malerei. - Was der Maler mit Farben macht, macht Anke Kutzschbauch hier mit Applikationen. Man möchte mit den Fingern auf Tuchfühlung gehen. Muster stoßen aufeinander, unterschiedliche Gewebe und Farbzusammenklänge schaffen mal eine räumliche Tiefe, ein andermal ein erzählendes Nebeneinander. Immer eine Bewegung, die wir als Bewegung des Gemüts wahrnehmen.

 

Neben den schon erwähnten emblemartigen Arbeiten gibt es Landschaftsfantasien, die vom realen Erlebnis der Natur, wie wir es an den hier ausgestellten Kohlezeichnungen ablesen können, angeregt, aber weitgehend abstrahiert sind. Das kann auch gar nicht anders sein, denn der Raum der Collage ist eben kein zentralperspektivischer, sondern ein ornamentaler mit eingefügten Bildmotiven, also ein lesbarer, kein betretbarer Raum. [...]

 

Mit freundlicher Genehmigung von Hans Brinkmann aus Chemnitz